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Der wohnungslose Gott


Der wohnungslose Gott  

„Sie hatten keinen Raum.“ Lukas 2, 1-7. Damit fing es an, und immer wieder ist es dabei geblieben. Wer wollte schon zusammenrücken oder gar sein Zimmer mit einem anderen teilen, nur damit ein paar Zuspätgekommene es sich gemütlich machen konnten? Denen, die noch ein Platz gefunden hatten, mögen die Neuankömmlinge sogar Leid getan haben, aber warum sollte gerade sie sich einschränken? Mal abwarten – vielleicht gab es andere, die sich kümmern würden, und ganz schlimm konnte es wohl auch nicht werden. In Betlehem war kein Zimmer frei.
So ging es auch weiter. Schon bald folgte die Flucht. Im Herrschaftsgefüge der römischen Provinz Judäa war kein Platz für einen, der in späteren Jahren würde Unruhe stiften können. Schließlich war der König Herodes verantwortlich für Ruhe und Ordnung. Da genügte der Verdacht auf mögliche Störung, um sofort und mit aller Härte die eigene Macht zu demonstrieren. Für fromme Idealisten war kein Platz. Hier nicht! Mit mir nicht! Für einen Gott war kein Raum in Judäa.
Und auch später wurde es nicht besser. Nach seinen eigenen Worten hatten die Füchse Gruben und die Vögel unter den Himmel Nester; aber der Menschensohn hatte nichts, wo er sein Haupt hinlegen konnte (Mathäus 8, 20). In die religiöse Vorstellungen und Ordnungen derer, die über den Glauben und einen frommen Lebenswandel wachten, passte er auch nicht. Wohin sollte das führen, wenn da einer kam, dem einzelne Menschen wichtiger waren als die allgemein gültigen Regeln? Wohin gar, wenn der behauptete, aus ihm spräche Gott? In dieser politisch wie religiös geordnete Welt war einfach kein Platz für ihn. Da war es schon „besser ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das Volk verderbe (Johannes 11, 50).
Bis heute ist das so geblieben. Wo er uns in den Elenden begegnen, in den Darbenden, schlecht Gekleideten, Kranken und Gefangenen unsere Herzen anrühren will, ist allzu kein Platz für ihn. Es ist alles besetzt von unseren eigene Sorgen und Nöten, von unserer eigenen Geschäftigkeit für Lebensunterhalt und Selbstverwirklichung, von unseren Mühen um ein ungestörtes Dasein. Es ist kein Raum mehr frei. Jan Brueghel der Ältere stellte das in seinem 1605 gemalten Bild über die „Suche nach einer Herberge“ seinen Zeitgenossen vor Augen. Er holte das Geschehen von Bethlehem in seine eigene Zeit und Welt.
Das ist das Flämische Dorf, eine wahre Idylle, fast so etwas wie eine heile Welt. Am Gasthaus herrscht Gedränge. Sollten noch neue Obdachsuchende dazukommen, dann mussten sie sich schon hinten anstellen. Da ist die Geschäftigkeit derer, die ihrer Arbeit nachgehen, und die keine Zeit haben, sich um irgendwelche Fremden zu kümmern. Das ist – hoch zu Ross – der Wächter über dieses geordnete Gemeinwesen. Und schließlich ist da der, der den Neuankömmlingen mit ausholender Gebärde bedeutet: Hier seid ihr falsch. Hier ist kein Raum. In dieses Bild gehört ihr nicht. Versucht es an einen anderen Ort – vielleicht im Stall.
Brueghel stellte den demütig bittenden Josef und die auf einem Esel reitenden Maria in den Mittelpunkt seines Bildes. Wären sie nicht da, fehlte dem Bild die Mitte, und es bliebe nur die Geschäftigkeit des Alltags. Es ist, als wollte der Maler damit sagen: Ohne den ankommenden Gottessohn fehlt etwas Entscheidendes. Es geht auch ohne Gott – aber wie?
Wie Brueghel keine Idylle malen, sondern das, was sich einst in Bethlehem ereignete, gegenwärtig machen wollte, so erzählte auch Lukas keine sentimentale Geschichte. Er begann seinen Bericht im Stil einer weltlichen Chronik. „Von Augustus ist die Rede, dem fernen Kaiser, und von einer Berechnung des Steueraufkommens in der gesamten von Rom aus überschaubaren Welt. Zeit und Ortsangaben prägen eine karge Erzählung, die dem Gesetz der langsamen Annäherung folgt“ (Walter Jens).
Lukas beginnt im Zentrum der Macht und erreicht sein Ziel in der Kläglichkeit der Provinz, wo ein Mann und eine Frau sich auf den Weg machen, um sich in die Steuerlisten eintragen zu lassen. Knapp stellt er fest: Die normalen Unterkünfte waren ausgebucht. Es blieb ihnen nur die Zuflucht in einem Stall, der von all dem Unrat bedeckt gewesen sein muß, den Tiere nun einmal machen. Von Ochs und Esel weiß Lukas nichts, schon gar nicht von solchen mit einem besonders feierlichen Gehabe. Sein Bericht ist kurz und sachlich und macht dadurch umso deutlicher, wie allgemeine Gleichgültigkeit keine Nächstenliebe aufkommen lässt. Die Erzähltradition der Christenheit macht das an der Gestalt des Herbergswirt fest, von dem Evangelium gar nicht gesprochen wird. Aber wenn man für das Versagen vieler eine Schuldigen hat, so ist das entlastend für alle anderen. Ist es der Wirt, so sind wir es nicht, die wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Für das Elend und die Not von Menschen machen wir gerne einen Schuldigen aus, und finden wir keinen Einzelnen, dann sind es die Verhältnisse, die politisch Verantwortlichen oder die eigene Ohnmacht, denn schließlich kann man ja nicht allen helfen.
Da sehe ich noch einmal das Bild von Jan Brueghel an. Er zeigt es uns deutlich: Unseren Geschäftigkeit, unsere Zufriedenheit mir einer warmen Unterkunft, unserer Feierlichkeit fehlt die Mitte, wenn der fehlt, der durch Maria und Josef in diese Welt kam. Uns fehlt die Mitte, wenn unsere Herzen kalt bleiben vor Elend, Krankheit und Not; denn was wir dem Geringsten verweigern, verweigern wir ihm.
Kein Raum ist in der Herberge, kein Platz für den Erlöser in unserer Welt, Gott ohne Wohnung bei seinem Volk – das muß nicht sein. Immer noch gilt ja auch, was Johannes bezeugte: Wer ihn aufnahm, den machte er zu seinem Kind (Johannes 1, 12).


Quelle: Sie hatten keinen Raum – Ulrich Heidenreich – Druck: Druckerei Buchheister KG, Lüneburg

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